Der „Rothenburger Weg“

Wissenschaftliche Tagung

„Der »Rothenburger Weg« zwischen Heimatschutz, malerischem Architekturstil und Postmoderne“ oder „Gibt es eine Modernität in der Bewahrung der Vergangenheit?“

Diese LEADER „LAG Region an der Romantischen Straße e.V.“ geförderte Tagung setzt sich mit dem Wiederaufbau der teilzerstörten Altstadt von Rothenburg ob der Tauber nach dem Zweiten Weltkrieg auseinander. Veranlasst durch die Rothenburger Bewerbung zum bayerischen Interessenbekundungsverfahren für die Fortschreibung der deutschen Tentativliste zum UNESCO-Weltkulturerbe („Altstadt von Rothenburg ob der Tauber – Synthese aus Mittelalter, Romantik und Wiederaufbau“) sollen Voraussetzungen, Methoden und Folgen sowie der Stellenwert des Rothenburger Wiederaufbaus innerhalb der deutschen Nachkriegsgeschichte – mithin also der außergewöhnliche universelle Wert der Altstadt – in den wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs gebracht werden. Die Referate und Diskussionsbeiträge dieser Tagung [Tagungsprogramm zum pdf-Download hier] werden daher engere Rothenburger Fragen ebenso aufgreifen wie grundsätzliche nach dem Wert von Rekonstruktion und Replikat (bspw. Braunschweiger Schloss, Neue Frankfurter Altstadt).

Seit seiner „Entdeckung“ Mitte des 19. Jahrhunderts gilt Rothenburg ob der Tauber als Inbegriff einer deutschen oder gar europäischen Stadt des Mittelalters. Ungeachtet dessen, dass ein nennenswerter Anteil der Bausubstanz frühneuzeitlich ist, übte das von modernen Einflüssen freie, homogene Stadtbild eine nachhaltige Faszination auf Menschen in Deutschland, Europa und in der ganzen Welt aus. Dieses Stadtbild wurde nicht allein von Reisenden rezipiert, sondern auch von Schriftstellern, Malern, von Architekten und Stadtplanern wie Camillo Sitte, Theodor Fischer und Raymond Unwin. Die Altstadt von Rothenburg diente seit jeher als Projektionsfläche verschiedenster Ideen und Ideologien. An Rothenburg ob der Tauber konnten sich romantische Vorstellungen ebenso manifestieren wie die Ästhetik des „Pittoresken“ in Architektur und Genremalerei oder gar der völkische Nationalismus. Die Zerstörung von rund 40% der Altstadt durch einen Luftangriff am 31. März 1945 setzte diesem einzigartigen, geschlossenen Stadtbild im nordöstlichen Bereich der Altstadt ein Ende. Wie an anderen zerstörten Orten wurde die Frage nach dem Vorgehen beim Wiederaufbau vordringlich und kontrovers erörtert. Die Bekanntheit Rothenburgs und die lange wechselhafte Rezeptionsgeschichte spielten bei diesen Überlegungen ebenso eine Rolle wie wirtschaftliche und soziale Erwägungen. Das Resultat war eine eigentümliche, in dieser Zeit wohl einmalige Art des Wiederaufbaus: der „Rothenburger Weg“.

Die Leitlinien des maßgeblich von Fritz Florin beeinflussten „Rothenburger Wegs“ folgten Georg Dehios 1908 formulierten Diktum „Die Stadt als Ganzes ist Denkmal“. Der besondere Wert dieser Stadt wurde nicht so sehr in einzelnen architektonisch herausragenden Gebäuden gesucht: Es waren Ensemblewirkung, Stadtbild, Lage und Topografie Rothenburgs, die für den Eindruck der Besucher/innen verantwortlich waren, sich in einer völlig aus der Zeit gefallenen, je nach Vorliebe mittelalterlichen, typisch deutschen, märchenhaften, stets aber romantischen Stadt zu befinden. Daraus resultierte ein maßgeblich von der Stadt und dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege geprägter Wiederaufbau, der die Gestalt Rothenburgs zu wahren versuchte, beim Einzelgebäude dagegen forderte, den zerstörten Vorgängerbau keinesfalls zu kopieren. Während das Stadtbild, die Parzellierung und die Straßenführung konserviert werden sollten, waren die wiederaufgebauten Strukturen doch als Produkte der Moderne kenntlich zu machen. Diese Vorgabe wurde beim größten Teil des Rothenburger Wiederaufbaus eingehalten. Allerdings galt das aus der Perspektive der damals am Wiederaufbau Beteiligten, die in Rothenburg in architektonischer Hinsicht einer eher konservativeren Denkweise anhingen. Dementsprechend orientierten sie sich bei ihren Neubauten zum Teil an der Formensprache des „Heimatstils“, als dessen bekanntester Vertreter in Bayern Rudolf Esterer gelten darf.

Die vielfältigen Fragen, denen innerhalb der Tagung Raum gegeben wird, umfassen daher Ansätze zur Neubelebung und Neuinterpretation des sogenannten „malerischen Städtebaus“. Dieser zeigt sich unter anderem in der starken Betonung von Platzanlagen und mehr noch: der zeitgemäßen Rückgewinnung von Plätzen. Des Weiteren verweisen bereits geläufige Begriffe wie „Stadtbild“ und Stadtlandschaft“ auf ein genuin bildhaftes Sehen und damit auch auf das Eigengewicht von Ästhetik als einer Funktion städtischen Lebensraums. Die Tagung greift auch Fragestellungen nach einer zeitgemäßen Rezeption und möglichen Anwendung der Gartenstadtidee in der Gegenwart auf, sie bietet eine kritische Geschichtsreflexion als Grundlage eines zeitgemäßen Verständnisses von Denkmalschutz („Gefühlswert“ als Differenzkriterium zwischen Identitätsangebot und Sentimentalität bzw. Nostalgie). Ferner fragt sie nach der Anwendbarkeit des Kriteriums der „Resonanz“ für die Städteplanung – insbesondere der Altstädte – in der Zukunft. „Resonanz“ meint hier vor allem eine Achtsamkeit im Sozialen und steht als Kriterium für wirklich stimmige Raumarchitekturen und Stadträume ein. Es beugt Landverlust vor und ermöglicht der Bürgerschaft eine Wiederaneignung der Stadt als Lebens-Raum.

Der „Rothenburger Weg“ war ein einzigartiger, an sozialen, denkmalpflegerischen und wirtschaftlichen Grundsätzen ausgerichteter Weg des Wiederaufbaus. Die zeitgemäße Nutzung von Denkmälern war damals klar als Zielvorgabe definiert. Der „Rothenburger Weg“ hat die Rothenburger Gestaltungssatzung für die Altstadt und damit die Stadtentwicklung bis in die Gegenwart geprägt. Es ist an der Zeit, diesen „Rothenburger Weg“ kritisch zu würdigen und seine Tauglichkeit als Modell für die Zukunft – möglicherweise auch an anderen Orten – zu befragen.

Zu der wissenschaftlichen Tagung ist ein ca. einstündiger filmischer Essay von Dieter Rolf Balb abrufbar unter: https://youtu.be/kmPzOe63MoE

Der während der Tagung erstellte Livestream (ca. 10,5 h) ist weiterhin zu sehen:

Der »Rothenburger Weg« Livestream

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