Mühlenlandschaft Taubertal

Mühlenlandschaft Taubertal

Von Mühlärzten, Eseln und der Kraft des Wassers

Der Arzt Michel Kunz misst keinen Puls, für die Gesundheit der Bevölkerung ist er aber essentiell. Er lebt um das Jahr 1666 im Tal der Schandtauber nahe Rothenburg und auch seine Patienten suchen die Nähe zum Wasser, Michel Kunz lebt ausschließlich von Hausbesuchen. Oder besser formuliert: Mühlbesuchen. Denn Michel Kunz arbeitet als Mühlarzt in Rothenburg ob der Tauber, ohne ihn geht irgendwann nichts mehr in den für die Lebensmittelversorgung so wichtigen Mühlen an der Tauber: denn als Mühlarzt schleift er die kostbaren Steine nach, die aus dem Getreide das Mehl machen sollen. Seine meisten Patienten kommen wohl gebürtig aus Wendelstein östlich von Nürnberg. Dort wird Sandstein gebrochen, ein ausreichend hartes Material für die Mühlsteine. Der einzige Versuch im Steinbruch bei Wachsenberg rund um Rothenburg Mühlsteine zu produzieren scheitert.

Mühle Taubertal Rothenburg ob der Tauber Doppelbrücke Herrnmühle
Mühlstein Taubertal bei Rothenburg ob der Tauber

Michel Kunz selbst verdient sein Auskommen zudem als Müller, ein angesehener Beruf. Das lässt sich schon allein dadurch ermessen, dass die Müller in Rothenburg ob der Tauber besondere rechtliche Privilegien genossen: Sie lebten zwar außerhalb der Stadtmauern, durften aber als Sonderstatus Bürger der Reichsstadt werden (was eigentlich den Stadtbewohnern vorbehalten war). Ein weiteres Privileg: bei der Stadtverteidigung dienten sie nicht in den Wachten, die an ihre Posten mussten. Allerdings: ganz ungefährlich war das Leben ja nicht, so allein vor den Stadttoren. Geschützt waren die Mühlen nämlich kaum, die einzige Chance bei einem Angriff: die Flucht in die Stadt.

Wie gut, dass viele Mühlen in Laufweite zur Stadt liegen. Bis heute hat sich diese einzigartige Mühlenlandschaft in Sichtweite der Altstadt erhalten. Wo in Städten wie Nürnberg oder Forchheim die Mühlen der zunehmenden Industrialisierung und großstädtischen Bebauung weichen mussten, liegt entlang des Taubertalwegs ein historisches Mühlgebäude nach dem anderen. Am deutlichsten wird dies rund um die Doppelbrücke, wo sich Steinmühle, Herrnmühle, Lukas-Rödermühle, Hans-Rödermühle und Fuchsmühle auf 1,2 Kilometern Länge die Wasserkraft der Tauber teilten und bis heute teilen: in vier der fünf Mühlen gibt es noch Wasserräder, die heutzutage Strom erzeugen (können). Dies geschieht über die 700 Jahre alten Mühlbäche, künstlich angelegte Kanäle zur Fokussierung der Wasserkraft.

Mühlbach Herrnmühle bei Rothenburg ob der Tauber

Damit die Kraft der Tauber auch vollumfänglich genutzt werden konnte, gab es strenge Regeln für die Müller: diese mussten gewährleisten, dass der Fluss und die Kanäle freiblieben und keine Stausituation eintritt: Rechtsstreitigkeiten dahingehend sind zwischen den Müllern über die Jahrhunderte zahlreich belegt. Bei manchem Müller gingen die rechtlichen Pflichten weit darüber hinaus: so wurden die Müller der Herrnmühle und Steinmühle 1330 vertraglich verpflichtet, sich um die „Brücke bei den Kapellen zu Kobolzell“ zu kümmern, also um die Vorgängerbrücke der Doppelbrücke. Der Beruf des Müllers war generell mehrdimensional: technisches Verständnis für das Mühlwerk, die Rolle als Pfleger des Flusses und natürlich auch der wirtschaftliche Aspekt der Handelsbeziehungen mit Bauern und Bäckern machten das Müllerhandwerk zur komplexen Aufgabe. Die Müller um Rothenburg nutzten ihr Gelände zudem als Bauernhof, eigene Esel (später: eigene Pferde) zählten ebenso zum Besitz wie Ländereien zum Anbau von Getreide und anderen Lebensmitteln.

An der Lukas-Rödermühle sieht man noch heute die Eselstreppe, die es den Lasttieren einfach machte den Getreidesack über das Mahlwerk zu transportieren. An der Fuchsenmühle nutzte man gar die Topographie des Taubertals und baute die Mühle so an den Hang, dass der Esel seine Last abladen konnte. Später wurde der Tauberesel – als wichtiges Lasttier auch an der Eselsbrücke über die Tauber mit einer Statue gewürdigt – mehr und mehr von Pferden und deren Karren verdrängt. Neben den bessern ausgebauten Wegen spielte hier sicherlich eine Rolle, dass sich beim Transport des Mehls in die Stadt die Last auf dem Karren von den Zöllnern leichter kontrollieren ließ.

Die Hauptperiode der eigentlichen Mahltätigkeit war saisonal stark begrenzt: Am 11.11. jeden Jahres war die Ernte gelesen, die Bauern leisteten an jenem Tag ihre Abgaben an die Reichsstadt. Zum Ende der Mahlzeit am 6. Januar zahlten dann die Müller am „Obersten Tag“ ihre Steuern an die Stadt. Mit vielen Bauern der Region hatte der Müller ein direktes Arrangement als Zulieferer, ebenso als Lieferant an die Bäcker. Hatten die Rothenburger Müller einen guten Ruf, so war dies keinesfalls überall im Heiligen Deutschen Reich so klar. Oftmals umgab die Müllergilde ein zweifelhafter, mythischer Ruf (man denke nur an die Legende von Krabat). Und so ist es kein Wunder, dass die Rothenburger die gute Reputation der eigenen Müller in der Mühlenordnung betonten: „In Rothenburg ob der Tauber ist das Mühlenwerk noch sauber.“ Dies wurde auch jährlich von einer Kommission kontrolliert und natürlich wusste man auch bei den lokalen Bäckern in welcher Mühle der Roggen, Dinkel und Weizen (diese domestizierten Getreidearten waren schon damals in den reichen Lössböden der Hohenloher Ebene und des Uffenheimer Gäus) am reinsten verarbeitet wird.

Rund um Rothenburg gab es neben den Getreidemühlen später im Zuge des gesellschaftlichen Fortschritts auch viele technische Mühlen: die Papiermühle an der Schandtauber, die Gipsmühle beim Wildbad und die Pulvermühle in Detwang sind Beispiele. Die Bronnenmühle diente als Pumpwerk für die Wasserversorgung (hierzu folgt ein gesonderter Beitrag). Neben der Roßmühle, die wir später in einem Beitrag genauer beleuchten wollen, sticht hinsichtlich der Antriebs die Windmühle in Neustett heraus: die steht auch heute noch als Wohnhaus in dem kleinen Ort Richtung Uffenheim (über Tauberzell nahe Adelshofen): Leonard Schott setzte hier im 18. Jahrhundert tatsächlich einen alten Wachtturm der Landwehr Rothenburgs um und versuchte dort sein Glück mit der Produktion von Rapsöl. Allein: es war viel Wind um nichts, spätestens als 1793 seine Ehe kriselt und er finanziell unter Druck steht, gibt Leonard Schott das gewagte Vorhaben auf.

Nachweislich gibt es Mühlen um Rothenburg seit dem späten 13. Jahrhundert (wahrscheinlich also viel früher): erstmals urkundlich erwähnt wird die Mühle in Detwang 1245 als sie wiedererrichtet wird. Anfangs waren dies so genannte herrschaftliche Mühlen, die den Staufern, weiteren Adligen oder wie die (Deutsch)Herrnmühle dem Deutschherrenorden und den Klöstern gehörten. Doch später kauft die Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber unter Bürgermeister Heinrich Toppler 13 Mühlen. Diese städtischen Mühlen werden verpachtet und bleiben bis um 1880 überlebensrelevant. Erst durch die aufkommende Technisierung mit der Dampfmaschine und dem Elektromotor schwindet die Bedeutung der Mühlen europaweit. Das Mühlensterben setzt ein, da hilft auch kein Mühlarzt mehr.

Dieser Artikel basiert auf Gesprächen mit Rothenburgs Stadtarchivar Dr. Florian Huggenberger und dem Vorsitzenden des Rothenburger Mühlenvereins Lothar Schmidt. James Derheim hat die Detailfotos beigetragen. Wir bedanken uns herzlich bei allen!

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