Der Kaisersaal in Rothenburg ob der Tauber

Ein Blick zurück in Rothenburg ob der Tauber - der Kaisersaal im Rathaus von Rothenburg ob der Tauber

Make Rothenburg great – der Kaisersaal als Symbol reichsstädtischen Machtstrebens

Das Rathaus von Rothenburg ob der Tauber prägt den Marktplatz: So eindrucksvoll und so markant es mit seiner Renaissance-Fassade unübersehbar dessen Westseite einnimmt, so geheimnisvoll stellt es sich im Detail dar. Im Zentrum stand der Ort auch machtpolitisch schon immer. Allen voran der Kaisersaal, der eigentlich gar nicht immer als solcher bezeichnet wurde…

Rothenburg ist eine Oligarchie. Wir schreiben das Jahr 1631 und der Innere Rat bildet sich wie seit Jahrzehnten aus dem immer gleichen Kreise der vermögenden Familien Rothenburgs, die sich gegenseitig kritisch beäugen. Wer hat mehr Einfluss? Wer stellt den Bürgermeister? Ihre Söhne schicken die Bezolds, von Staudts, Walthers und andere zielgerichtet zum Studium des Rechtswesens. Verwaltungsgrundlagen sollen diese dort erwerben, um die Stadt im Sinne der Rothenburger Bürgerschaft zu regieren. Zum Studium zieht es die protestantischen Rothenburger nicht ins nahe, aber katholische Würzburg. Die Lutherstadt Wittenberg im heutigen Sachsen-Anhalt ist ein typisches Ziel für die kommenden Ratsherren aus Rothenburg.

Der Innere Rat tagt im Rathaus und bespricht dort im normalen Ratssaal die Alltagsgeschäfte. Nur zur Ratswahl, für Sondersitzungen in Krisenfällen und zur Vereidigung neuer Bürger der Stadt geht es in den eindrucksvollen Großen Ratssaal, den wir heute als Kaisersaal kennen. Im Gerichtsbereich im Südflügel steht noch heute der Stuhl des Richters. An Gerichtstagen wird in Rothenburg damals wechselnd Stadt-, Land- und Bauerngericht gehalten. Noch heute ist der Bereich im Saal durch die verzierte eingezogene Gerichtsschranke aus Stein klar vom Rest des Saals abgegrenzt. Das eindrucksvolle Relief zum Jüngsten Gericht soll zeigen, dass das Relief nicht als endzeitliche Vision gedacht war, sondern als   ein Appell an die Regierenden, ihre Macht als gerechte Richter auszuüben im Sinne von Psalm 2,10: „Et nunc reges intellegite, erudimini qui iudicatis terram“. Das lässt sich folgendermaßen übersetzen: „Und nun, ihr Könige, seht ein (seid verständig), (ihr), die ihr die Erde regiert, werdet gelehrt.“ Will heißen: „Macht Euch schlau, bevor Ihr urteilt.“ Kein schlechter Rat, noch heute.

Der große Ratssaal wird erstmals 1881 – also sehr spät – als Kaisersaal bezeichnet. Zur ersten Aufführung des Festspiels ist es nicht mehr weit hin und die Besucher aus aller Welt dürsten auch jetzt schon nach schmissigen Geschichten. Ein völliger Etikettenschwindel ist der Name Kaisersaal freilich nicht. Immer wieder haben Könige und Kaiser Rothenburg besucht. Einige wurden sogar im Rathaus untergebracht. Möglich ist zum Beispiel, dass Kaiser Friedrich III. des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation hier 1474 den Dänenkönig Christian I. bei seinem Besuch in Rothenburg hineinführt. Als Empfangssaal und repräsentativer Raum spielt der Große Ratssaal eine zentrale Rolle. Immer dann, wenn der Rat Rothenburgs gezielt Öffentlichkeit herstellen will, wird er herangezogen – der Saal als Symbol der reichsstädtischen Macht. So ist er in seinen Dimensionen durchaus vergleichbar mit dem Ratssaal in Regensburg, wo freilich die Bedeutung dank des dort stattfindenden Ewigen Reichstages eine weitaus höhere ist. Doch die Infrastruktur für eine solche politische Großveranstaltung hielt man in Rothenburg mit dem Kaisersaal auch vor.

Und das ist natürlich kein Zufall: Heinrich Toppler hieß der einstige Rothenburger Bürgermeister im späten 14. Jahrhundert, der Rothenburg nach vorn bringen wollte. Unter seiner Ägide wird nicht nur der Bau der eindrucksvollen Jakobskirche vorangetrieben. Mit dem Kaisersaal schafft er ein zweites architektonisches Zeichen des neuen Rothenburger Wohlstands und will höher hinaus. Auch ein dritter Stadtmauerring (genauer: eine vorgelagerte Wallanlage) wird von ihm angedacht, der nördlich der Stadt unter anderem am heutigen Philosophenweg und an der Kreuzung Würzburger Straße entlanglaufen soll. Die Stadt soll wachsen, ihr Einfluss soll steigen – so Topplers Wille. Der Kaisersaal ist hierbei ein bedeutsamer, repräsentativer Baustein.

Die Symbolik des Saals und Rathauses als Gerichtsort ergibt sich auch durch den Ort, an dem das Gebäude in Rothenburg steht. Zuvor repräsentierte das erste Rathaus den bürgerlichen Rat von Rothenburg an der Stelle des heutigen Fleisch- und Tanzhauses. Dieses erste Rathaus wurde Ende des 13. Jahrhunderts errichtet und befand sich gegenüber vom Haus des Schultheißen. Im Namen des Königs sprach der vor Ort Recht. Auch hier begegnet uns eine bekannte Familie aus dem Umfeld der Rothenburger Landhege: Lupold hieß im Jahre 1237 einer der königlichen Statthalter. Er wurde bis 1240 Reichsküchenmeister und nannte sich dann nach seiner Burg Lupold von Nordenberg. Er zeichnet verantwortlich für die Gründung des Dominikanerinnenklosters im benachbarten Neusitz, das er später nach Rothenburg verlegt (das heutige RothenburgMuseum). Als Rothenburg Reichsstadt geworden war, versuchte der Rat, diesen Einfluss von außen auf die Stadt loszuwerden. Das gelang durch den Erwerb des Einsetzungsrechts für den Schultheißen ab 1352. Jetzt konnte der Rat selbst bestimmen, wer den Posten bekam. Begünstigt wurde die Entwicklung durch den Rückbau der kaiserlichen Stauferburg (im heutigen Burggarten), dem Schultheiß fehlte so ein machtpolitisches Instrument vor Ort. Um 1360 begann auf der Stelle des Schultheißen-Hauses der Bau des heutigen Rathaus-Westflügels.

Der Marktplatz mit Rathaus und Ratstrinkstube

Die älteste Darstellung des Marktplatzes findet sich auf dem Herlin-Altar in der Stadtkirche St. Jakob. Neben dem Markttreiben der Händler in den Arkaden des Rathauses fällt dem Betrachter auch auf, dass die beiden Rathaus-Flügel damals symmetrisch im gotischen Stil angeordnet waren. 1501 brennt der Ostflügel ab, der Brand beschädigt auch große Teile des Westflügels und den Großen Ratssaal. Der wurde zuvor noch mit Säulen gestützt und bekommt dank des  Nürnberger Handwerkers Jörg Stadelmann eine freitragende Deckenkonstruktion, die ihn bis heute so besonders macht. Statisch gesehen ist dies eine Meisterleistung: die Balken der Spunddecke wurden passgenau ineinandergesteckt und befestigt, da es solch lange Stämme für den Bau der Decke gar nicht gab. Der Kaisersaal misst imposante 38,31 Meter in der Länge.

Eine besondere Rolle spielt der Kaisersaal zu Pfingsten, wenn das Historische Festspiel „Der Meistertrunk“ dort aufgeführt wird. Seit der Uraufführung 1881 hat das Festspiel im Rathaus seinen festen Platz, auch die Kleiderkammer mit den Gewandungen befindet sich gleich neben dem Saal. Die Bühne an seinem Nordende nimmt circa ¼ des Saals ein, einst war die Empfangshalle komplett flach angelegt. Der Wirkung des Kaisersaal als Symbol Rothenburger Machtstrebens nimmt das die Wirkung aber nicht.

Historisches Festspiel "Der Meistertrunk" im Kaisersaal

Für die Informationen bedanken wir uns herzlich bei Dr. Florian Huggenberg, Stadtarchivar Rothenburgs, und Dr. Helmuth Möhring, dem früheren Leiter des RothenburgMuseums.

Für die Detailaufnahmen bedanken wir uns bei James Derheim!

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