Das Klingenviertel in Rothenburg ob der Tauber

Ein Blick zurück in Rothenburg ob der Tauber - Das Klingenviertel

Wir erfahren im Gespräch mit Dr. Möhring vom RothenburgMuseum interessante Fakten zur Stadtgeschichte

Im Zeichen der Ordensritter – das Klingenviertel in Rothenburg ob der Tauber

Der letzte zieht die Rüstung aus. Ganz so plakativ kann man sich den Abgang des letzten Ordensritters des Deutschen Ordens aus Rothenburg ob der Tauber im Jahr 1627 natürlich nicht vorstellen. Doch mit dem Abgang des letzten Repräsentanten der christlich geprägten Ritterschaft endet eine 400 Jahre währende Blütephase in der Geschichte Rothenburgs, die das heutige Klingenviertel – also den Bereich der Altstadt nordwestlich der Stadtkirche St. Jakob – bis heute maßgeblich in seiner Struktur prägte.

Das beginnt mit der 500m langen Klingengasse, die das kleine Viertel der Altstadt von der Jakobskirche in Richtung Klingenturm und Schäferkirche durchzieht. Denn diese diente den Ordensrittern einst als Ausfallstraße und direkte Verbindung zum nächsten Ordenssitz im 14 Kilometer entfernten Reichardsroth. Für den Handel der Rothenburger Bürger war dieser Teil der Stadt gänzlich uninteressant. Zumal auch die Dominikanerinnen im nahen Kloster nur wenige Bedienstete beschäftigten. Anders als in Bad Mergentheim prägte den Sitz der Ordensritter in Rothenburg keine Schlossanlage. Zwischen dem heutigen Kirchplatz und der Deutschherrngasse (im Straßennamen lebt das Erbe noch fort) sowie der Klingengasse befanden sich vielmehr Wohn- und Wirtschaftshäuser. Die heutige Stadtbücherei und das benachbarte Wohnhaus gehören noch zur ursprünglichen Baustruktur.

Und Wirtschaft ist hier wörtlich zu nehmen: Neben dem kriegerischen Aspekt – es gab sicherlich auch Rothenburger Ordensritter, die an Kreuzzügen teilnahmen und sich so beim Kaiser eine höhere Stellung verschafften – war der Orden in aller erster Linie ein Wirtschaftsbetrieb. Ähnlich wie im nahen Kloster brachten die neuen Ritter landwirtschaftliche Güter in den Orden ein, lange florierte der Handel. Und so ist es kein Wunder, dass der Orden ein bis heute prägendes architektonisches Element der Stadt initiierte: die finanziellen Ressourcen ermöglichten die Planung einer Kirche, St. Jakob. Dass der christliche Orden diese in der Folge ob ausbleibender finanzieller Ressourcen nicht fertigstellen konnte und die Rothenburger Bürgerschaft das Vorhaben beendete, ist eine Besonderheit in der Stadt. Ähnlich wie in Augsburg und Würzburg war der Orden aber auch in Rothenburg ob der Tauber in der Folge verantwortlich für die weitere städtebauliche Entwicklung an dieser Stelle. Denn als der Heilig-Blut-Altar von Tilman Riemenschneider in Auftrag gegeben wurde, brauchte es zusätzlichen Platz in der Kirche St. Jakob. Gen Westen konnte diese noch wachsen, doch dort verlief die Klingengasse. Und für jene beanspruchten die Ordensritter das Nutzungsrecht – kein Wunder, wären sie doch sonst komplett vom Marktplatz und Zentrum der Stadt abgegrenzt gewesen. Und so mussten die Planer die Kirche ÜBER die Gasse erweitern

400 Jahre Ordensritter in Rothenburg, da hat sich in der Nachbarschaft des Klingenviertels natürlich viel getan. Einst endete die Stadt an der heutigen Judengasse. Die jüdische Bevölkerung, die sich auf den Wohnbereich bezogen auch mit christlichen Nachbarn vermischte, lebte dort zunächst „extra muros“ – also außerhalb der Stadtmauer auf dem zugeschütteten Stadtgraben. Auch der alte jüdische Friedhof am heutigen Schrannenplatz war außerhalb der ersten Stadtbefestigung. Gewachsen ist das Klingenviertel ab der ursprünglichen Stadtmauer erst ab dem Jahr 1370 und damit NACH dem Spitalviertel im Süden – somit ist es das jüngste Viertel in der Altstadt.

Im späten 14. Jahrhundert wuchs die Stadt unter dem legendären Bürgermeister Heinrich Toppler rapide. Im Klingenviertel siedelten sich anfangs (eine Besiedlung ist laut Schnurrer ab 1377 nachgewiesen) jene Handwerker und Berufszweige an, die das Leben für die Nachbarn im Zentrum unangenehm machten: Büttner, deren Hämmern laut dröhnte und Hafner, die mit Feuer arbeiteten, wurden aus dem ursprünglichen Stadtkern ebenso verdrängt wie die Gerber, deren Handwerk dem Nachbarn stank. Neben dem Henker lebte im Klingenviertel auch der Abdecker, der sich um die Tierkadaver und andere Abfälle in der Stadt kümmerte. Die landeten im Nordosten Stadt am so genannten Kummereck gleich außerhalb der neuen Stadtmauer – im Endeffekt war dies eine mittelalterliche Müllhalde. Es stank also gewaltig rund ums Klingenviertel. Und in der heutigen „Altfränkischen Weinstube“ befand sich einst wohl der Schweinestall des nahen Dominikanerinnenklosters.

Doch auch Wohlriechendes durften Passanten im Viertel erleben. Im Haus mit dem berühmten Renaissanceerker in der Klingengasse ist so die Bäckerei Feuerlein belegt. Die jüdische Bevölkerung in der nahen Judengasse verfügte über ihre eigenen Bäcker und Metzger – am Weißen Turm stand das Gemeindezentrum. So manche Patrizierfamilie aus der Herrngasse leistete sich im Klingenviertel einen Garten zur Nahversorgung, besonders schön zu sehen am Eingangsportal zur einstigen Grünfläche der Adelsfamilie Albrecht im Fuchsengässchen. Klingenweth heißt die Gasse entlang der wehrhaften Stadtmauer im Norden – eine Weth ist ein Löschteich bei Angriffen und zur Versorgung von Pferden. Mit dem Schwarzen Adler entstand ein Wirtshaus an der Klingengasse, am Schrannenplatz später eine Scheune und ein Bauernmarkt.

Die Häuser der Handwerker im Klingenviertel gerieten natürlich kleiner als jene der Adelsfamilien im Zentrum der Stadt – lange nach dem Abzug des letzten Ritters nutzten im späten 19. Jahrhundert die nicht ganz so gut betuchten Künstler aus aller Welt den Wohnraum und zogen in den Norden der Altstadt: die Bilder von Arthur Wasse, Wilhelm Schacht oder Theodor Alt trugen mit dazu bei, dass Rothenburg touristisch entdeckt wurde, heute werden die hier entstandenen Gemälde im nahen RothenburgMuseum ausgestellt. Doch das Klingenviertel bleibt das versteckte Viertel hinter St. Jakob, ein genauer Blick auf die Wappen und Zeichen an den Hausfassaden lohnt. Mit den Arbeiten in der Judengasse 10 und 12 entsteht zudem ein interessantes Zentrum für all jene, welche die jüdische Geschichte der Stadt interessiert.

Den fotografischen Rundgang durch das Viertel verdanken wir James Derheim!

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