Ein Blick zurück in Rothenburg ob der Tauber - das Büttelhaus am Markusturm in Rothenburg ob der Tauber
Einen echten Houdini hatten die Rothenburger Mitte des 18. Jahrhunderts zu Gast – Franz Antoni Stahl aus dem Nördlinger Ries war ein ganz übler Geselle und ein richtiges Schlitzohr. Gleich zweimal entkam der listige Dieb aus dem Gefängnis für Schwerverbrecher in Rothenburg ob der Tauber, dem Markusturm und dem Büttelhaus. In der Nacht schleicht er gleich zweimal aus der Stadt, zuvor seilte er sich mit einem Strang aus der Füllung seines Strohsacks aus der Zelle halsbrecherisch elf Meter in die Tiefe ab. Dumm da standen in der Folge die Büttel, die Gerichtsdiener der Stadt. Jenen entkam Franz Antoni Stahl quasi vor der Nase. Denn die Büttel bewachten nicht nur die Verbrecher in den Zellen, sie lebten auch selbst im Büttelhaus. Wenn die Wärter verheiratet waren, so leisteten auch ihre Frauen den Eid als Büttel ab, der sie dazu verpflichtete auf die Gefangenen aufzupassen. Der Beruf war in etwa so angesehen wie jener des Henkers. In Rothenburg ob der Tauber gab es neben den Zellen am Markusturm und neben dem Rathaus noch drei weitere Gefängnistürme in der Stadt: für weniger schlimme Verbrechen landete man im Strafturm oder im Weibsturm (an der heutigen Röderschütt, vorwiegend für Frauen). Wer im Faulturm landete, war quasi lebenslang verurteilt und faulte sprichwörtlich vor sich hin. Im Turm fanden Archäologen später gar Skelette der Insassen. Eigene Zellen hatten die Ritter vom Deutschen Orden im Klingenviertel.


Allgemein war der Strafvollzug im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit nicht wie heute auf Resozialisierung ausgelegt, die Strafe und die Abschreckung standen im Vordergrund. Der Markusturm und das Büttelhaus dienten einst als Untersuchungsgefängnis für Verdächtige und als Kerker für Schwerverbrecher. Noch heute lässt sich im Keller erahnen, dass allein das Eingesperrtsein in den kalten, dunklen und mit Ungeziefern verseuchten Kerkern die Insassen psychisch schwer belastete. Wer in Ermangelung eines Indizienprozesses trotzdem nicht gestand, der wurde gefoltert: das lief in Rothenburg ob der Tauber meist in Form von Schlägen oder durch Streckinstrumenten ab und wurde von den Bütteln durchgeführt. Eine weitere Aufgabe der städtischen Wächter: sie brachten die Beschuldigten vor Gericht ins nahe Rathaus. Dann waren die Büttel in ihrer rot-weißen Uniform offiziell gekleidet. Oft gab es Beschwerden der Bürger: die Büttel würden reiche Verbrecher besser behandeln als die armen Handwerker, die für Nichtigkeiten richtig leiden mussten.

Auch die Büttel selbst schlugen so manches mal über die Stränge: Mit Bastian Gackstatt hatte die Stadt im Jahre 1560 gar den Bock zum Gärtner gemacht – oder besser: den Säufer zum Büttel. Denn Gackstatt blieb nicht wie vorgesehen stets auf seinem Posten. Ihn zog es in die Wirtshäuser der Stadt, wo er fröhlich zechte. Einen Houdini hatte er glücklicherweise nicht als Gefangenen und so ist unter seiner Ägide keine Flucht belegt. Weil er aber auch den Kriminellen in den Kerkern fröhlich einschenkte und anstieß, wurde es den Rothenburger aber doch zu bunt. Uns so fand sich Bastian Gackstatt bald auf der anderen Seite der Gitterstäbe als Insasse wieder. Nur der Intervention und Verbürgung seiner Frau verdankte er es, dass er „nur“ aus der Stadt verbannt wurde und nicht schlimmeren Strafen entgegensah.

Schlimmere Strafen erwarteten jene prominenten Insassen im Büttelhaus und im Markusturm, die im Jahre 1525 aus politischen Gründen inhaftiert waren: Im Zuge des Bauernkrieges landete der religiöse Eiferer Teuschlein mit seinen Anhängern im Gefängnis. Der antijüdische Agitator Teuschlein hatte Jahre zuvor bereits die Pogromstimmung in Rothenburg angeheizt und schlug sich auf die Seiten der Reformation sowie der aufständischen Bauern. Rothenburg als Widerstandnest war so schnell das Ziel des siegreichen Heeres vom Schwäbischen Bund, das kampflos in die Stadt einzog und 21 Agitatoren festsetzte. Das endete für alle mit der Todesstrafe. Das gleich Schicksal ereilte übrigens ein paar Jahrhunderte ebenso dem Houdini aus dem Ries, wenn auch nicht in Rothenburg. Nach seiner zweiten Flucht wurde er später nahe Ulm aufgegriffen und landete am Galgen. Das Büttelhaus ist heute das Stadtarchiv Rothenburgs, 1960 wanderten die Akten aus dem Rathaus ins einstige Gefängnis. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die einstigen Zellen noch als Sozialwohnungen genutzt, ehe das Haus 1945 beim Bombardement der Stadt ausbrannte. Original erhalten sind noch die Kellergewölbe und der benachbarte Markusturm, der baulich das Ensemble begründete. Er stand als Beobachtungsturm für die nahe Stauferburg einst als Solitär, die erste Stadtmauer mit dem Röderbogen kam erst später hinzu – für Franz Antoni Stahl war freilich selbst der neuere Stadtmauerring am Rödertor hunderte Jahre später kein Hindernis bei seiner Flucht durch die Nacht.
Alle Informationen stammen aus einem Interview mit Stadtarchivar Dr. Florian Huggenberger. Vielen Dank!
Die Fotos stammen von James Derheim von European Private Focus Tours. Vielen Dank!

